Als das Telefon klingelte, war mir klar, dass heute irgendwie trauern mit Kindern für mich auf dem Programm stand. Und ich habe echt keinerlei Erfahrung in dieser Beziehung. Bamm, jetzt und hier. Mit der Nachricht dass meine Oma heute morgen gestorben ist, kam eine Tatsache in unser Leben, auf die ich eigentlich schon seit Tagen warte. Und doch ist es jetzt anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich hatte zum Glück Gelegenheit, mich von meiner Oma schon ausgiebig zu verabschieden. Als sie noch ein klein wenig mitbekam, was um sie herum vorgeht, konnte ich mich sogar noch bedanken. Obwohl sie sonst nicht mehr reagierte, hat sie mir mit einem leichten Nicken geantwortet. Auch dafür danke!
Trauer hat viele Gesichter
Eigentlich wollte ich heute über unsere Urlaubsvorbereitungen schreiben, doch das kann ich nicht einfach so. Ich kann nicht so tun, als hätten wir ein belangloses Wochenende verbracht. Eine Kerze brennt jetzt seit Mittwoch für die Oma zur Erinnerung. Und sie brennt noch.
Als ich den Kindern die traurige Nachricht überbrachte, heulten zwei von drei spontan herzzerreißend los. Ein Kind blieb still und wunderte sich selbst, warum es nicht weinen musste. Da sagte ich, dass jeder Mensch verschieden trauert. Dass jeder Mensch das Recht habe, auf seine Weise zu trauern. Der Kloß im Hals ging nicht mehr weg, obwohl ich dachte, ich hätte mich schon leer geweint.
Ein Kind sagte: “Als wir klein waren, hat es uns nichts ausgemacht als der Opa gestorben ist. Wenn man größer wird, tut es einem mehr weh, oder?” Und ja, kleine Kinder verstehen nicht wirklich, was es bedeutet, wenn ein Mensch stirbt. Sie verstehen nicht, dass es heißt, ihn/sie nie wieder zu sehen auf dieser Welt. Die Endgültigkeit ist ihnen nicht begreiflich, aber vielleicht ist das ganz gut so. Als vor ein paar Jahren der Uropa starb, ging das allen sehr viel weniger nahe. Allerdings haben die Kinder mit ihrer Uroma auch sehr bewusst ihre letzten zwei Lebensjahre verbracht, als sie halbseitig gelähmt im Rollstuhl saß. In dieser Zeit wohnte sie nicht weit weg von uns bei meinen Eltern, die sie pflegten. So haben wir viele schöne Stunden zusammen verbracht.
Träumen im Garten
Ein anderes sagte: “Es ist schon wirklich richtig traurig, dass die Uroma gestorben ist, Mama.” Trotzdem haben wir einen wundervollen Tag zusammen verbracht. Die Sonne ließ sich wieder blicken nach einem Tag Dauerregen. Wir waren im Garten und haben viel geerntet.
Auch dabei habe ich oft an meine Oma denken müssen, die einen wundervollen Garten mit vielen Rosen, Löwenmäulchen, blauem Enzian, Dahlien, Astern und Edelweiß hatte. Ihre Daumen waren wirklich unglaublich grün. Sie hatte eine doppelte Hecke aus Himbeeren, die höher als ein großer Mann war und unzählige Beerensträucher.
Da habe ich jedes Jahr ernten geholfen und die Ernte durfte ich behalten. Jahr für Jahr wurde sie eingefroren für die kalten Tage, in denen keine Beeren reifen. Das mache ich bis heute so mit den Johannisbeeren und den Brombeeren.
Sie hatte ein Gewächshaus und unzählige Gemüse- und Kräuterbeete, in denen meistens gerade etwas reifte. Nur sie hatte die kleinen gelben Cocktailtomaten und die besten Zucchinisamen. Die züchtete der Opa. Auch ihre Tomaten- und Salat-Setzlinge waren in der ganzen Familie beliebt. Wenn sie Samen aussäte, dann kam auch was dabei heraus. Diese Gabe habe ich nicht unbedingt von ihr geerbt, aber die Leidenschaft fürs Garteln, die sich von Generation zu Generation hält.
Der Duft der Rosen erinnert mich für immer an sie. Und ebenso der Anblick der Berge, die sie sehr liebte.
Der Alltag hilft dir beim Trauern mit Kindern
Was mich sehr beeindruckt hat heute, war dieses gute Gefühl des Alltags, das das Trauern mit Kindern erträglicher macht. Der Alltag ist ja trotzdem immer da, egal was passiert im Leben. Der Alltag hat auch eine Schutzfunktion und seine Rituale holen alle zurück. Trauern mit Kindern ist seltsam und berührt einen zutiefst. Sie sind so unmittelbar und ehrlich. Große Traurigkeit wird abgelöst von lustiger Aktivität und völliger Normalität mit Gestreite und Gegröhle – wie immer eben. Und plötzlich erinnern sie sich wieder und wollen wieder reden. Oder beginnen zu weinen oder kriegen eine große Wut.
Unmittelbar nachdem ersten Schock, wünschten sie sich von mir vorgelesen zu bekommen. Doch immer wieder kehrten ihre Gedanken zurück. Wir machten lange Lesepausen. Sie stellten ihre Fragen und äußerten ihre Gefühle. Das war genau das Richtige. Wir waren zusammen, und taten dennoch etwas völlig anderes als wirklich trauern mit Kindern. Wir waren anwesend und taten etwas Normales. Das Vorlesen brachte oberflächlich Ablenkung und ermöglichte ihnen, ihre Gedanken zu sammeln, um auszusprechen was ihnen ein Bedürfnis war.
Nichts muss, alles kann
Einen lesenswerten Text über das Trauern mit Kindern gibt es hier beim BR. Allerdings werde ich nicht mit meinen Kindern wie hier für das Grundschulalter vorgeschlagen zur Beerdigung gehen. Ich war 12 Jahre alt, als mein erster Opa starb und wochenlang sah ich vor dem Einschlafen Bilder vor meinem inneren Auge, wie sich die Würmer, Asseln und mehr Getier durch den Sarg fraßen, und meinen geliebten Opa langsam auffraßen. Ich konnte mich diesem Film einfach nicht erwehren.
Wir haben beschlossen, dass wir mit Oma und Opa das Grab in Ruhe zusammen besuchen, um zu reden und der Oma unsere Grüße und Blumen zu bringen, um angemessen zu trauern mit Kindern. So empfinde ich es.
Ich will euch nicht allzu traurig betrüben mit der Beschreibung unserer Trauer. Deshalb hüpft rüber zu vielen fröhlichen WIBs bei Frau Mierau. Nur ein Gedanke noch, der mir heute passend erschien: Ich habe gerade gelesen, dass nach jeder Erleuchtung das Leben weiter geht mit Wasser holen und Holz herrichten fürs Herdfeuer. Wasser holen und Holz machen, das ist nicht nur das, was ein jeder nach einem erleuchtenden Erlebnis unweigerlich tut, sondern das ist auch das, was die Trauer erträglich macht.
In memoria a Therese, Deine Enkelin Verena