Erst vor ein paar Tagen habe ich einen Aufruf auf Twitter gestartet, um neue Teilnehmer_innen für meine Serie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu finden. Danke, dass sich so viele gemeldet haben und besonderen Dank an Jessika, dass Du gleich geantwortet hast! Jessika erzählt hier ihre Geschichte – eine Berliner Geschichte und eine, die zeigt wie wichtig es ist, nicht nur eigene Ziele erreichen zu wollen, sondern das auch tatsächlich durchzuziehen. Eigene Ziele erreichen ist ja bekanntlich nicht immer so leicht wie man sich das mal vorgestellt hat.
Erstens kommt es anders, zweitens… was sich in Jessikas Lebens alles geändert hat und wie sie das Diplomstudium Psychologie als Alleinerziehende und Mutter von zwei Kindern gemeistert hat, erzählt sie uns heute. Außerdem berichtet sie über ihre erfüllende Arbeit und wie wichtig beides für sie ist: ihre Familie und ihr Traumjob. Eigene Ziele erreichen ist eine wichtige Botschaft, die wir alle unseren Kindern mitgeben können – am besten klappt das ja bekanntlich durch vormachen.
Wer bist du?
Mein Name ist Jessika, ich bin 37 Jahre alt und lebe mit meinen zwei Kindern, die zwölf und zehn sind und mit meinen zwei Katzen, die beide fünf Jahre alt sind, mitten in Berlin im klischeebehafteten Prenzlauer Berg. Ich bin vom Vater meiner Kinder seit acht Jahren getrennt und die Kinder wechseln jede Woche zwischen ihm und mir hin und her. Das ist für uns die beste aller schlechten Lösungen, denn bei einer Trennung kann es eigentlich kein Optimum für die Zeit danach geben, finde ich. Wir haben uns gut eingespielt und sind ganz zufrieden.
Woher kommst du?
Ich bin vor 17 Jahren aus dem Brandenburger Umland nach Berlin gezogen, um hier zu Psychologie studieren und habe während meines Studiums meine Kinder bekommen. Das ließ sich ganz gut vereinbaren, weil ich immer wieder Urlaubssemester nehmen konnte nach meiner damaligen Studienordnung. So hatte ich einerseits für meine Babys genug Zeit. Und konnte andererseits immer wieder im Studium anknüpfen und weiter machen. Zwischen der Geburt meines Sohnes und der meiner Tochter legte ich die erste von sieben Diplomprüfungen ab. Nachdem meine Tochter auch in die Kita eingewöhnt war, fing ich mit der Diplomarbeit an. Dann trennten sich der Vater der beiden und ich.
Das hieß dann: Wohnungssuche. (Das war damals noch nicht so schwer wie heute in Berlin). Ich bekam eine Wohnung mit Wohnberechtigungsschein, die eine bezahlbare Miete hatte und in der Nähe der Wohnung des Vaters lag – eben im Prenzlberg. Dann weiter studieren und Nebenjob suchen (Hier hatte ich auch Glück, ich konnte an einem Forschungsprojekt mitarbeiten, bei dem ich Sprachtests mit Kindern machte.)
Es war eine schwere Zeit: Während ich versuchte, mich in der Wohnung einzurichten und mich um die Kinder zu kümmern, arbeitete und studierte ich noch. Das Studium musste immer ein bisschen hinten an gestellt werden, wenn die Sprachtests anstanden, da die in bestimmten Zeiten stattfanden. Aber zum Glück immer nur vormittags. Dann konnte ich an den Nachmittagen, an denen meine Kinder nicht bei mir waren, meine Diplomarbeit weiterschreiben.
Später bereitete ich mich zu der Zeit dann auf die anderen sechs Abschlussprüfungen vor. Zum Glück konnte ich mir meine Zeit einteilen! Sonst wäre das nicht machbar gewesen. Und zum Glück hatte ich viel Hilfe, vor allem in materieller Hinsicht. Ich bekam Möbel und einen Kühlschrank geschenkt und ich wurde von meiner Familie unterstützt. Es war nicht angenehm, so erwachsen noch Geld von den Eltern zu erhalten. Aber es war geliehen und ging zu der Zeit einfach nicht anders. Ich bin auch froh, dass der Vater der Kinder hier so zuverlässig war und sich um die Kinder kümmerte, trotz aller Streits, die wir am Anfang der Trennung noch hatten.
Wohin ich gehe?
Mh, das weiß ich noch nicht. Ich möchte später noch die Therapeut_innenausbildung machen. Aber das geht erst, wenn meine Kinder mich nicht mehr so brauchen, wie jetzt. Da meine Kinder zwei zu Hause haben, kann ich auch nicht aus Berlin weggehen. Das heißt, alle Zukunftsvorstellungen mit besonders krassen Veränderungen kann und will ich erst realisieren, wenn meine Kinder selbstständig sind. Ich lebe sehr im Hier und Jetzt, das mich auch sehr vereinnahmt. Manchmal treibt der Alltag mich an meine Grenzen.
Warum und was arbeitest Du?
Ich arbeite zum Einen, weil mir zu Hause sehr schnell die Decke auf den Kopf fällt. Ich brauche Austausch, Herausforderung und eine weitere Aufgabe neben der Familie. Sonst fühle ich mich nicht ausgefüllt. Ich bin in einem Heim für Jugendliche zuständig für alles mögliche. Inzwischen bin ich nicht nur Psychologin sondern auch Pädagogische Leitung. Das Heim ist ein kleiner Hof mit Pferden, Ziegen, Schafen, Hühnern, ein bisschen Landwirtschaft und ein bisschen Holzwirtschaft. Die Jugendlichen haben alle sehr belastende Biographien und brauchen intensive Betreuung.
Darum bin ich nicht nur für die Sorgen und Nöte der Jugendlichen da. Ich habe auch viel koordinatorische Aufgaben und versuche, die Mitarbeiter_innen so gut es geht, zu unterstützen. Oft hilft es, die Beweggründe oder die Hintergründe der Jugendlichen zu erklären, um neue Wege zu entwickeln. Im Moment bin ich sehr, sehr glücklich über das tolle Team, mit dem ich arbeite! Da bringen viele ihr Herzblut und viel Engagement mit auf den Hof. Das möchte ich nicht missen.
Erzähle uns etwas von Deinem beruflichen Werdegang!
Vieles aus meiner Studienzeit habe ich ja schon angesprochen. In meinem Nebenjob konnte ich noch ein Vierteljahr bleiben und das Projekt abschließen. Eigentlich wollte der Professor, der das Projekt gegründet und geleitet hatte, mir ermöglichen, eine Doktorarbeit zu schreiben und dabei dort angestellt zu sein. Jedoch verstarb er unerwartet. Seine Frau beendete noch das Forschungsprojekt und ich suchte derweil eine Festanstellung.
In meinem letzten Semester half ich nebenher mit, einen studentischen Kongress zu organisieren, die „Ferienuni Kritische Psychologie“ – eine Herzensangelegenheit. Der Kongress fand in derselben Woche statt, in der mein Sohn eingeschult wurde. Danach brauchte ich dringend eine Pause. Im Dezember 2010 hatte ich es dann aber geschafft. Die letzte Prüfung war bestanden.
Danach suchte ich ein Jahr lang nach einer Festanstellung und hatte derweil Nebenjobs. Es war schwer, etwas zu finden, da überall nur Therapeut_innen, nicht aber Psycholog_innen gesucht wurden und eine Therapeut_innenausbildung konnte ich mir nicht leisten. Schließlich fand ich dann doch einen Job außerhalb Berlins und den habe ich jetzt immer noch. Ich fahre jetzt täglich insgesamt ca. zwei Stunden. Aber das ist es wert, denn das Heim, in dem ich arbeite ist einmalig!
Das JobCenter lag mir in dieser Zeit ziemlich im Nacken und verlangte immer wieder Bewerbungsnachweise. Ich bewarb mich auch auf Stellen, für die ich über- oder unterqualifiziert war. Dabei versuchte ich mich von den Absagen nicht runterziehen zu lassen, was auf Dauer schwer wurde. Dann konnte ich für eine Erzieher_innen-Fernausbildung einen „Studienbrief“ mit Lektionen und Aufgaben verfassen. Das hat mir auch sehr viel Spaß gemacht.
Und dann, ein Jahr nach Studienabschluss, fand ich endlich meinen Job. Zuerst arbeitete ich 32 Stunden. Seit ich zur Leitung gehöre sind es 36 Stunden.
3 Dinge, die Dir am schwersten fallen beim Wechseln zwischen den Welten!
- Ich kann nicht 17.00 Uhr nach Hause kommen, sofort den Haushalt schmeißen und die Hausaufgaben der Kinder betreuen. Das geht nur nacheinander. Und manchmal bleibt der Haushalt einfach liegen. Die Kinder sind leider sehr oft mit sich selbst beschäftigt. Aber wir haben trotzdem eine tolle und enge Beziehung.
- Ich bin oft müde und erschöpft.
- Ich pflege wenig Kontakt zu anderen Eltern aus der Schule der Kinder. Dazu fehlt mir schlicht die Zeit. Manchmal schaffe ich die Koordination von Arzt- oder Behördenterminen auch einfach nicht.
3 Dinge, warum du nicht tauschen wollen würdest!
- Ich erlebe so viel und entwickle mich weiter.
- Ich bin hoffentlich ein Vorbild für meine Kinder, indem ich mich angestrengt habe, um eigene Ziele erreichen zu können und indem ich anderen Menschen helfe.
- Die Kinder helfen mir durch ihre pure Anwesenheit, Abstand von der Arbeit zu gewinnen. Die Arbeit bietet im Gegenzug eine gute Abwechslung zum Hausfrauen- und Mutterdasein.
Was liegt dir besonders am Herzen?
Ich wünschte, ich wäre ausgeruhter, hätte manchmal stärkere Nerven und manchmal mehr Zeit für mich. Für Bücher oder Serien, für Spontaneität und die Pflege von Freundschaften. Aber trotz allem bin ich froh, dass ich selbstständig leben kann, ohne auf das Geld anderer angewiesen zu sein. Ich bin froh, herausgefordert zu werden und – auch wenn das pathetisch klingt – der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können. Ich genieße die Anerkennung und meinen Status im Job. Und ich liebe meine Kinder über alles. Mir ist wichtig, dass sie Frauen als eigenständig wahrnehmen und mit diesem Bild groß werden.
Drei Dinge, die meine Familie und ich ins Herz geschlossen haben:
Wenn Du auch gerne in dieser Reihe dabei sein möchtest, schreib mir einfach per Mail oder im Kommentar. Ich freue mich auf Dich! Mitgemacht haben schon
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