Für die Sozialpädagogin Aylin Seuferling klingt der Satz Mein Papa ist im Gefängnis nicht komisch. Sie betreut in der JVA Nürnberg eine Vater-Kind-Gruppe. Daran nehmen fünf bis sechs Väter ihre Kinder zwischen drei und 15 Jahren teil. In diesem geschützten Raum essen und basteln sie für zwei Stunden zusammen und dürfen sich ohne Trennscheibe und Wachpersonal in den Arm nehmen.
Papa ist im Gefängnis – das ist für viele Angehörige, Kinder und Frauen, ein totales Stigma. Wenn ihr eine Familie kennt, für die Papa ist im Gefängnis traurige Realität in ihrem Alltag ist. Bitte schneidet diese Menschen nicht, sondenr hilft ihnen, indem ihr sie am ganz normalen Alltag teilhaben lässt. Es gibt Familien, die fahren 20 Kilometer weit zum Einkaufen. All das aus Scham und um bloß niemanden im Supermarkt treffen zu müssen. Mit dem Text “Mein Papa ist im Gefängnis” möchte ich dazu beitragen, dieses Tabuthema zu brechen. Damit Kinder nicht für etwas büßen müssen und aus ihrem öffentlichen Leben ausgegrenzt werden, für etwas, für das sie nichts können.
Bei Treffpunkt e.V. könnt ihr Euch Hilfe holfen, wenn ihr selbst betroffen seid oder jemanden kennt mit einem Angehörigen im Gefängnis.
Auf dieser Seite finden Sie unterschiedliche Angebote für Kinder von Inhaftierten, ein FAQ, eine Online Beratung oder auch Neuigkeiten und co.
https://www.juki-online.de/projektbeschreibung/
Hierunter findet sichdie Beschreibung des Projektes Kinder von Inhaftierten (KvI), das zum Ziel hat ein deutschlandweites Hilfe Netzwerk für betroffene Kinder (mit weiterführenden Links) aufzubauen. Auch ÖsterreicherInnen können sich bei Treffpunkt e.v. übrigens Rat holen.
Im folgenden lest ihr über die Arbeit von Aylin Seuferling, die Kindern ermöglicht, alles besser zu verarbeiten und den Kontakt zum Vater aufrecht zu erhalten.
Frau Seuferling, du weiß doch, mein Papa ist im Gefängnis, aber darf der Papa morgen zum Laternenumzug kommen?
Der regelmäßige vierzehntägige Rhythmus und der feste Ablauf gibt den Kindern Sicherheit und Beständigkeit. Sie können ihre Beziehung je nach persönlicher Situation intensivieren, wieder aufbauen oder weiterführen.
Kinder wollen in Interaktion treten, sie wollen spielen, etwas unternehmen mit ihrem Papa, auf ihm rumhüpfen. Deshalb war Corona aus Kinderperspektive ein Desaster: Vor 1,5 Jahren ist ihre Kindergruppe, die ihnen all das ermöglicht hatte, geschlossen worden.
Unsere große Errungenschaft nach 1,5 Jahren Pandemie sind nun 60 Minuten Sonderbesuchszeit für die Teilnehmer des Erziehungskompetenztrainings. In diesem Rahmen bastelt eine ausgewählte Gruppe von Vätern für ihre Kinder. Bei diesen von einer Sozialpädagogin von uns begleiteten Sonderbeusche sind keine Beamten dabei, dafür aber Spielzeug von uns. Kinder und inhaftierte Väter dürfen sich auch endlich wieder berühren.
Während Corona war zeitweise gar kein Kontakt mehr zum Elternteil in Haft möglich. Ein Kontakt nur mit Voll-Trennscheibe und Masken ist alles andere als kindgerecht. Nur dasitzen und quatschen ist für Jugendliche möglich, greift aber auf keinen Fall die gesamte Altersspanne ab, die wir bedienen.
Ich finde es ganz ungünstig für die Kinder, wenn sie den vertrauten Rahmen der Vater-Kindgruppe kennengelernt haben, und es dann nach einigen Monaten abbricht und Besuche nurmehr im überwachten und distanzierten Besuchsmodus der Jva stattfinden können. Deshalb versuchen wir, dass die Väter auch bis zu ihrer Haftentlassung an den Gruppen teilnehmen. Häftlinge in der JVA Nürnberg, einem Kurzzeitstrafengefängnis, bleiben in der Regel bis zu zwei Jahre Haft.
Die Teilnahme ist auch ein Vertrauensvorschuss von Seiten der JVA. Diese muss denjenigen als geeignet empfinden, er darf keine Sicherheitsvermerke, Sexualdelikte oder ähnliches haben.
Die Kinder freuen sich sehr. Es ist ihnen ihre Freude und ihr Glück anzumerken.
Manche sind anfangs etwas verhalten, gerade bei Familien die sich länger nicht gesehen haben. Sie trauen dem ganzen nicht, stehen vor dem Papa und gucken erst einmal. Das ist oft für die Väter sehr schwierig, die sich vorstellen, das Kind hüpft fröhlich auf sie zu. Das passiert auch, aber es gibt eben auch Kinder, die etwas überfordert sind. Aber das pendelt sich über die Gruppen ein. Im Großen und Ganzen hüpfen die Kinder außen schon und freuen sich, bevor wir zusammen reingehen. Das ist für die Kinder eine ganz wertvolle Zeit, die sie mit ihren Papas haben. Es ist ein Versuch, ein bisschen normale Familienzeit für sie hinzukriegen. Wir haben immer Essen da, Brezn, Kuchen und so was, denn es ist unheimlich wichtig, dass eine Familie zusammen am Tisch sitzt. Das klingt so banal, aber das ist für die Kinder unglaublich wichtig. Genauso einen hohen Stellenwert hat, dass sie sich oft berühren dürfen, und auch das Bastelangebot. Das alles hilft, das Familiennormalität gelingt und deshalb macht es ihnen auch so viel Spaß.
Ich erinnere mich an einen vierjährigen Jungen, der beim Abschied immer wieder geweint hat. Ganz stark habe ich seinen Frust und seine Wut gespürt, dass der Papa nicht mit raus darf, dass er ihn nicht mitnehmen kann. „Ich will doch so gern, dass du morgen zum Laternenumzug mitgehst.“ Ihm war völlig klar, dass das nicht geht, dass er sich jetzt verabschiedet, rausgeht und der Papa da bleiben muss.
Mein Papa ist nicht da – Papa ist im Gefängnis
Die Kinder durchlaufen ein Gefühlsbad, haben Angst, machen sich Sorgen, fühlen sich irgendwie vergessen, sind aufgeregt, freuen sich. Das sind so viele Gefühle, die Kinder da durchmachen, da ist es ganz normal, das jemand wütend oder traurig ist. Wichtig ist, wie wir es danach aufgreifen. Wir sprechen mit den Kindern selbst und erzählen den Angehörigen, wie das Treffen verlaufen ist, telefonieren auch mal im Anschluss. Parallel dazu bieten wir eine Gesprächsgruppe für betroffene Frauen an. In diesem Rahmen können deren Kinder unser Kindercafé besuchen. Sie wissen ganz genau, hier müssen sie nichts verheimlichen. Im Kindercafé sitzen alle im gleichen Boot. Hier können sie sich äußern und über ihre Gefühle reden.
Unser Angebot wird auch von getrennt lebenden Elternpaaren sehr gut angenommen. So müssen sich ex-Partnerinnen um nichts kümmern und wir übernehmen für sie den Kontakt zum Vater.
Wenn Inhaftierte mit einer Vater-Kind-Gruppe anfangen oder damit die Beziehung zu den Kindern aufrecht erhalten, kann das sehr hilfreich sein für eine gelungene Resozialisierung.
Teil davon ist der sogenannte soziale Empfangsraum. Da geht es um all die Beziehungen, die man nach außen hat. Wenn ein Inhaftierter zurück in stabile Beziehungen geht, wirkt sich das günstig aus. Kinder spielen da meiner Erfahrung nach eine große Rolle. Oder spätestens da erkennen Leute, die jahrelang straffällig waren, ihre Vorbildfunktion und ihre Verantwortung gegenüber ihrem Kind. Das ist ein großer Faktor, sein Leben zu ändern. Die Wissenschaft spricht hier von Turning Points. Aber Vater sein heißt noch nicht, die Vaterrolle auch zu leben.
Hier findet ihr außerdem Hilfe zu Alkoholabhängigkeit.
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