Ein kleines Mädchen sitzt da, zwischen fremden Kindern, die eine fremde Sprache sprechen. Sie versteht nichts, Gelächter, Gejohle. Über was reden die Kinder? Keiner schaut zu ihr, keiner beachtet sie. Sie hat zwar nicht das Gefühl, dass die anderen sie nicht mögen. Aber dennoch ist da dieser Abgrund, diese Sprachlosigkeit um sie herum. Sie steht auf und geht ein Stück.
Da steht plötzlich ein Junge vor ihr und klappt seine Brotdose auf. Darin liegen zwei halbe Äpfel. Sie versteht die einladende Geste auch ohne Worte und nimmt einen davon heraus. Sie bedankt sich. Der Junge versteht und sagt “Danke” in seiner Sprache. Dann zeigt er auf das Obst und sagt “Apfel”. Das Mädchen atmet durch. Plötzlich gibt es eine Brücke über den Abgrund des Nicht-Reden-Könnens. Der Non-Kommunikation. Ohne Worte.
Es ist wichtig Brücken zu bauen zwischen Fremden und Einheimischen, von fremd zu vertraut. Denn das Fremde ist nur solange fremd, bis es vertraut wird. Vertrauen entsteht durch Reden, durch Kennenlernen, durch Miteinander Zeit verbringen, durch Verständnis für die Welt des Anderen.
Fremd-Lernen
Das Andere und das Selbst lernen nicht nur Kinder in der Situation der Fremde besser kennen. Als ich mit 12 Jahren mein kleines bayrisches 1000-Leute-Dorf verließ und in die ewige Stadt zog, war das zuerst ein Kulturschock für mich. Fremder konnte man sich nicht fühlen. Dieses Gesumse und Gebrumme allein verwirrte mich. Mein erster Ausflug allein in die römische Innenstadt, den ich mit einer Schulfreundin dort unternahm, ist mir in Erinnerung wie gestern. Die breiten Straßen voller Autos, die meterhohen Häuserfronten, der Dreck und der Smog, die alten Gemäuer und der Stau. Das Flirren des Lichts und der von der Sonnenwärme geschmolzene Asphalt. Überall Menschen und überall Neues, das auf mich einstürmte. Und doch spürte ich trotz aller Fremdgefühle einen Freudentaumel über all das Unbekannte, das Riesenpotenzial an unentdeckter Welt und Möglichkeiten. Und die konnte ich für mich nutzen, weil ich schnell Freunde fand und mir meine neue Umwelt nicht feindlich gesinnt war. Unter diesen Umständen ist es vielleicht nicht für jeden leicht, aber sicher machbar, sich an das Leben in der Fremde anzupassen.
Als Fremde lernte ich in kurzer Zeit sehr viel. Neben all den neuen Eindrücken auch über mich selbst. Wer bin ich, woher komme ich, wieso bin ich anders als die anderen? All das sind identitätsbildende Fragen, die durch Fremdgefühle auftauchen.
Sprache lernen
Sprache ist Identität. Um sich mit dem Fremden zu identifizieren, ist es deshalb umso wichtiger schnell die Sprache des neuen Landes zu lernen. Nur so gelingt Integration. Nur so bilden sich Brücken über den Abgrund der Sprachlosigkeit. Wer sich nicht ausdrücken kann, bleibt in sich verschlossen. Sprache ist eine Ausdrucksform. Mit dem Nicht-Sprechen drücken Menschen häufig ihre Fremdgefühle aus. Weigert sich ein Kind, in der neuen Sprache zu reden, kann das heißen: Ich bin nicht bereit, das Neue anzunehmen, helft mir, dass ich mich von Euch angenommen fühle. Macht mich vertraut mit Euch, wie es der kleine Prinz mit der Rose und (wenn ich mich recht erinnere) dem Fuchs tat.
Ich weigerte mich lange, italienisch zu reden. Für mich war es das einzige, was mir (gefühlt) von meiner alten Welt noch blieb und das wollte ich mir durch diese Weigerung erhalten. Natürlich hatte ich es insofern mit dieser Entscheidung leichter, weil ich in eine Deutsche Schule ging. Ich konnte also deutsch reden und wurde dennoch von meinen italienischen Freunden verstanden. Neulich hörte ich von einem kleinen Jungen auf dem Elternabend der 1. Klasse, dass er nicht versetzt wurde, weil auch er entschieden hatte, nicht deutsch zu sprechen. Obwohl alle wussten, dass er schlau ist und perfekt deutsch könnte, will er nicht. Seine Mama erzählte, dass er zuhause erklärt hat: “Mama wir sind Türken, warum soll ich deutsch sprechen?” Da fühlte ich mich sofort an meine eigenen Fremdgefühle erinnert.
Bitte liebe Leute, geht einmal in die Fremde, wenn ihr dort noch nicht wart. Macht einmal allein einen Urlaub, tragt euch für Erasmus ein, auch wenn der Bachelor wartet, nehmt einen Sabbatical oder schaut sonstwie, dass ihr Fremdgefühle erleben könnt. Sie bereichern euch. Und noch viel wichtiger: Sie lassen uns die verstehen, die aus der Fremde zu uns kommen.
Ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, meinem Ursprungsland Deutschland und meinem Gastland Österreich, nein eigentlich den vielen solidarischen Menschen, Deutschen und Österreichern, und allen die hier wohnen, für ihr Engagement zu danken. Macht weiter so, damit der Umgang mit Fremden neues Vertrauen zum Anderssein schaffen kann.
Und vielen Dank auch für diese bereichernde Blogparade an Dich Friederike vom Landlebenblog.
Wer etwas tun will für Fremde und Flüchtlinge, kann z.B. hier, bei Blogger für Flüchtlinge, schauen.
3 Comments