Selbstreflexion als Eltern? Braucht es das? Die Kindheit ist eine fantastische Zeit: Als Kindern lernen wir unglaublich viel und tun vieles zum ersten Mal. Nicht alle Erfahrungen sind dabei aber positiv.
Wie die Kindheit das spätere Leben prägt
Die meisten Eltern wollen bei ihren eigenen Kindern alles „richtig“ machen, anders als ihre Eltern bei ihnen. Die Kinder sollen eine schöne und unbeschwerte Kindheit haben. Negativen Einfluss durch Druck, Gehorsam oder Einschränkungen wollen Eltern am liebsten von ihrem Nachwuchs fernhalten.
Dass dieses Vorhaben nicht so einfach umzusetzen ist, erkennen viele zu spät. Warum ist das so und wie könnte es besser gehen? Wie erschaffen Eltern ausreichend Raum, in welchem sie sich um ihre persönlichen Bedürfnisse und die drängenden Fragen ihres eigenen Lebens kümmern können? Was brauchen sie, um den Sinn ihres Lebens zu erforschen?
Dieser Beitrag von Gabriele Feile findet Antworten auf diese relevanten Fragen.
Glaubenssätze und ihre einschränkende Wirkung
Häufig, wenn ich mich mit Menschen unterhalte und die Kindheit zur Sprache kommt, fällt ihnen ein Satz ein, der sie in ihrer Kindheit begleitet hat. Genauso oft hadern sie bis heute damit – wie auch mit anderen prägenden Erlebnissen.
Die Sätze, an die sich viele erinnern, gehen alle in eine Richtung, die kleine Menschen dazu bringen sollen, brav, unauffällig oder stark zu sein und den Erwachsenen nicht zu viel Arbeit zu machen. Sie sollen funktionieren. Manche dieser Sätze haben eine einschränkende Wirkung – so wie der Satz: Das kannst du nicht!
Ein Kind braucht tatsächlich etwas ganz anderes als diese „gut gemeinten“ Sätze von Älteren. Es braucht Wärme und Akzeptanz, körperliche Berührungen, die Anwesenheit und die Liebe von Menschen. Es braucht beruhigende Erfahrungen, Verständnis, den spielerischen Austausch mit Menschen ganz unterschiedlichen Alters, viel Zeit und vor allem Aufmerksamkeit. Und ja, es braucht auch Grenzen, innerhalb derer es sich sicher bewegen kann.
Um all das zu verstehen, ist kein Studium nötig und auch keine Erfahrung in der Kindererziehung. Es reicht aus, selbst einmal Kind gewesen zu sein.
Kinder und Eltern – eine Verkettung über viele Generationen
Philippa Perry, eine britische Psychotherapeutin und Autorin, schreibt davon, wie das, was wir selbst als Kinder erlebt und erfahren haben, uns im Weg stehen kann, wenn wir selbst Kinder haben oder erziehen. Das Erbe dessen, wie wir erzogen wurden, setzt sich fort, und wir verhalten uns genauso, wie es unsere Eltern getan haben.
Das, was wir von unseren Eltern erben, ist also, neben Eigenschaften, Aussehen und Talenten, auch das, was sie uns unbewusst weitergeben. Sie haben es von ihren Eltern erhalten und diese von ihren. So entsteht eine Verkettung über Generationen hinweg, die so lange bestehen bleibt, bis ein Glied der Kette sie bricht. Das ist nötig, wenn sie nicht bis in alle Ewigkeit die Nachkommen beeinflussen soll.
Selbstreflexion und Selbsterkenntnis während der Elternschaft
Bedauerlich und nicht sehr hilfreich ist, dass das tiefe Auseinandersetzen mit unseren eigenen Ängsten, Wunden und Bedürfnissen und mit unserer Lebensaufgabe in den meisten Fällen erst dann beginnt, wenn wir die Mitte unseres Lebens erreicht haben. Viele haben dann ihre eigenen Kinder ganz oder teilweise großgezogen und dabei unbewusst das Erbe weitergegeben.
Genau das hat mich in den letzten Jahren häufig beschäftigt: Warum ist es biologisch so vorgesehen, dass die ideale Zeit der Fortpflanzung in jungen Jahren ist? Was denkt sich die Natur dabei, dass Kinder dann erzogen werden, wenn die Eltern selbst noch nicht vollständig entwickelt sind? Das heißt, sie haben sich selbst noch nicht so weit enthüllen und entfalten können, um ihren emotionalen Ballast weitestgehend loszuwerden.
Die Antwort auf diese Fragen erhalte ich von Gott persönlich!
Ich lese nämlich im dritten Band von Gespräche mit Gott, was wir Menschen bei dem ganzen Thema falsch machen und wie wir dies ausmerzen können. Gott ist in diesem Fall übrigens kein alter, bärtiger Mann, der uns straft, wenn wir Fehler machen. Er ist auch nicht der gütige Vater, der uns beschützt. Gott ist das Kollektiv, das alles umfasst – alle Lebewesen, auch dich und mich. Unsere kollektive Weisheit ist es also, die unser Leben – göttlich – gestaltet. Je bewusster wir diese Weisheit einsetzen, desto wirkungsvoller ist das, was dabei herauskommt.
Ein sich selbst erhaltendes System, das keinen Sinn ergibt
Gott jedenfalls erklärt die Situation dem Autor Neale Donald Walsch, der seine Dialoge mit Gott in den Büchern wörtlich aufschreibt, wie folgt:
Der Fehler ist, dass wir uns ein System erschaffen haben, in dem das Aufziehen von Kindern in aller Regel die alleinige Verantwortung derer ist, die sie zur Welt bringen, also der biologischen Eltern. Kinder gelten als Eigentum ihrer Eltern, und um sein Eigentum hat man sich zu kümmern.
Weil junge Eltern aber, rein entwicklungspsychologisch, häufig selbst noch Kinder sind, gelingt ihnen die Aufgabe oft mehr schlecht als recht. Sie sind einfach noch nicht lange genug erwachsen, um ausreichend Weisheit an ihre Kinder weitergeben zu können. Übrigens auch nicht unbedingt in ihren Dreißigern oder Vierzigern, denn die vollständige Selbsterkenntnis ist dann meist noch nicht erreicht. Das merken viele erst dann, wenn sie sich tatsächlich mit ihrer Selbstfindung auseinandersetzen und feststellen, wie wenig ihnen bisher klar gewesen ist.
Die Lösung für eine sinnvolle und bereichernde Erziehung
Die viel intelligentere Lösung, die hoch entwickelte Kulturen anwenden (und hoch entwickelt heißt nicht: materiell reich), ist es, Kinder von denjenigen aufziehen zu lassen, die die Wahrheit über das Leben kennen und den Kindern damit das geben können, was ihnen am meisten nützt. Kinder werden am besten von einer Gemeinschaft erzogen, und dabei kommt den Älteren, der Generation der über 60-Jährigen, besondere Bedeutung zu.
Das heißt nicht, dass die Kinder ihren Eltern weggenommen werden und sie nicht mit ihnen leben dürfen, so wie wir das aus den Sissi-Filmen kennen. Es heißt, dass sie die individuelle Erziehung der Kinder Menschen überlassen, die das aufgrund ihrer Lebenserfahrung besser können. Das können die Großeltern oder Urgroßeltern sein, aber auch andere Verwandte oder Bekannte der Familie. Kindergarten und Schule kommen damit auch eine wichtige Aufgabe zu, die weit über die Wissensvermittlung hinausgeht.
Das Schulsystem profitiert ebenfalls von Selbstreflexion
In Brasilien hat der Ausnahmeunternehmer Ricardo Semler erfolgreich Schulen gegründet, in denen Seniorinnen und Senioren als Lehrkräfte tätig werden. Ihr Wissen wird in der Wirtschaft nicht mehr gewollt, denn sie werden in einem bestimmten Alter in den Ruhestand geschickt. In den Schulen mit dem Namen Lumiar dürfen sie den Kindern hingegen das beibringen, was ihnen wirklich am Herzen liegt. So kommt es vor, dass ein Geigenspieler Mathematik unterrichtet.
Am meisten beeindruckt, dass es in diesem Schulsystem einen Schwerpunkt gibt, in welchem über all das gesprochen wird, was die Menschheit nicht weiß. Hier werden Fragen zu Liebe und Tod genauso diskutiert wie die übergreifende Frage: Warum und wofür sind wir hier?
Selbstfindung mit (und trotz) Kindern
Während also ihre Kinder von Menschen mit Weisheit versorgt werden, können Eltern das tun, was sie in ihrem Alter tun wollen und was sie tun sollen, um sich persönlich weiterzuentwickeln. Dabei sammeln sie all die Erfahrungen, die für ein gutes und gelungenes Leben nötig sind.
Sie haben dadurch auch die Chance, ihre eigenen Wunden zu heilen und ihre Ängste zu lösen. Das bereitet sie auf ihre Lebensaufgabe vor. Sie haben Zeit und Gelegenheit, sich mit dem Sinn ihres eigenen Lebens auseinanderzusetzen. Dabei entdecken sie sich selbst wieder als die Menschen, die sie schon als Kinder waren. Sie erkennen, welche Weichen in ihrer Kindheit gestellt wurden und welche Auswirkungen das auf ihr weiteres Leben hatte.
Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen
Ihre Erziehungsaufgabe für die Gesellschaft übernehmen sie dann, wenn sie selbst im passenden Alter sind. Auch Menschen, die keine eigenen Kinder haben, sind natürlich dafür geeignet, ihre Erfahrung an junge Menschen weiterzugeben. Vielleicht ist genau das ihre Lebensaufgabe. Das, wofür sie auf der Welt sind.
Die afrikanische Lebensweisheit ist also wahr: Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen.
Eine Lösung für drängende Herausforderungen?
Sobald sich deine anfängliche Empörung über diesen utopischen Vorschlag gelegt hat, denke doch mal mit etwas Abstand darüber nach, wie viele der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wir mit dieser Art von Arrangement lösen könnten. Welche positiven Auswirkungen könnte das auf Menschen aller Generationen und ihr Handeln haben?
Ist das nicht einen zweiten Gedanken wert?
Dieser Text ist ein abgewandelter Ausschnitt aus Gabriele Feiles Buch „Schmetterlinge fallen nicht vom Himmel – Wie ich den Sinn des Lebens suchte und meine Lebensaufgabe fand“. Es erschien 2023 im LebensGut Verlag.
Die Autorin Gabriele Feile erzählt in ihrem Buch berührende und amüsante Geschichten aus dem Leben – ihrem eigenen und dem von anderen Menschen. Sie beschreibt, was alles passieren musste, damit sie sich vollkommen ent-falten konnte. Dabei entdeckte sie die Schmetterlingsfrequenz, jene magische Schwingung, auf der Menschen ankommen, sobald sie vollkommen sie selbst sind.
Hier lest ihr weitere Artikel zu Selbstliebe und Achtsamkeit für Mütter sowie den Prozessen von Selbstfindung und Selbstreflexion als Eltern.
Danke für diesen wertvollen Kommentar, liebe Martina. Ich hatte auch das GEfühl, das ich in meine Mutterrolle hineingewachsen bin. Zuerst habe ich mir gedacht, o gott, wie schaffe ich das denn bloß, aber dann ging alles wie von selbst. und ich habe mich durch mein Muttersein persönlich sehr verändert, bin viel bewusster und reflektireter geworden – im Umgang mit anderen, aber auch mit mir Selbst. Aber: Es ist ein lebenslanger Prozess, kommt mir vor und bei manchen Dingen steht man immer wieder ganz am Anfang.
und Ja: das finde ich auch ganz wichtig: für jeden passt etwas anderes, eigenes und es gibt vielfältige Familien und vielfältige Arten, um gut zu leben und zum Glücklichsein.
Liebe Grüße, Verena
Ich stimme mit den Aussagen nur teilweise überein. Niemand hat vollkommene Selbsterkenntnis. Zu keinem Zeitpunkt. Lebensjahre stehen nicht automatisch für emotionale Reife. Weisheit entsteht durch Erfahrung und Integration dieser – Selbstreflexion, Versöhnung, Annahme, Heilung und Nachnähren, wo Verletzungen passiert sind. Wir wachsen auf dem Weg und sind beständig auf diesem. Sowohl junge als auch ältere Erwachsene können gut ins Elternsein hineinwachsen. Elternsein bedeutet LIEBE zu geben, offen und neugierig sein auf das neue Wesen, Verantwortung tragen und teilen, eigene Grenzen kennen und kennenlernen und zu diesen stehen, Mut zum Fehler und zum Nichtwissen, zum täglichen Lernen, Freude teilen, alle Gefühle fühlen, Überforderung und Bewältigung, Vertrauen. Selten gelingt es nicht oder nicht ausreichend, dass Eltern in ihre Aufgabe hineinwachsen. Dies kann passieren, wenn sie selbst zu sehr verletzt sind und sich selbst noch nicht ausreichend lieben. Deshalb brauchen Eltern liebevolle Unterstützung. Kinder im zweiten Viertel oder zweiten Drittel des Lebens zu bekommen, macht aus mehreren Gründen Sinn. Körperliche Fitness, Samen und Eiqualität und Kinder zu tragen, zu gebären, zu stillen, tags und nachts für sie da zu sein, braucht Kraft. Und die verbleibende Lebenszeit. Wir Menschen brauchen auch als Erwachsene ein Netz. Auch erwachsene Kinder freuen sich über Halt. “Das Leben kann nur rückwärts verstanden werden.” Oft ist im Erwachsenenalter eine Versöhnung mit den Bereichen möglich, in denen die eigenen Eltern gescheitert sind. Bei mir stellte sich erst, als ich selbst ins Elternsein wuchs, eine große Demut und Dankbarkeit ein für all das Sein meiner Eltern. Erst da konnte ich ihre Größen erkennen und ihre Schwächen und Fehler annehmen, wie auch mich selbst mehr erkennen. Schön ist es, wenn Bindung gelungen ist oder NACHGENÄHRT werden kann. Wenn die Großeltern für ihre erwachsenen Kinder und Enkel da sind. Ja, sowohl Kinder als auch Erwachsene brauchen eine GEMEINSCHAFT. Andere Menschen, die sie stärken und unterstützen. Die Gemeinschaft kann sowohl durch das familiäre als auch durch das soziale Netz getragen sein. Kinder ins Leben zu begleiten ist eine große Aufgabe. Als Mutter dreier Kinder ist es eines der größten Geschenke meines Lebens. Dieses Band zwischen Eltern und Kind ist etwas besonders. Durch meine Kinder komme ich am stärksten mit meinem inneren Kind in Berührung und wachse über mich selbst hinaus. Ich lerne täglich dazu. Vieles gelingt mir, manches nicht und an anderem scheitere ich. Scheitern ist Teil des Lebens. Nicht nur Kinder wachsen mit den Eltern, sondern auch Eltern mit den Kindern. Ja, Eltern brauchen Pausen, Rat und Unterstützung – nicht bevormunden oder aus der Verantwortung nehmen. Je nach den Bedürfnissen von Eltern und Kind Verantwortung teilen. DA sein. Es ist die LIEBE, die uns trägt. Nicht aus der Verletzung heraus im Kopf Konzepte entwickeln – sondern sich VERSÖHNEN. Lieben. Von innen heraus. Die Netze, die Kinder tragen, dürfen vielfältig und bunt sein, wie das Leben selbst. Es gibt kein alleiniges Konzept, das für alle passt. Bitte nicht das Beste anstreben, sondern das Echte. Zu den eigenen Stärken und Schwächen stehen. Täglich lernen. Mit liebevollem Blick füreinander da sein. Ob Mama, Nachbarin, Großvater, Freundin und Kinderkrippe oder Eltern, Kindergarten, Onkel und Oma – oder XYZ und später Schule, Verein, Lerngemeinschaft (…) – JA – es braucht viele Menschen, um ein Kind ins Leben zu begleiten. Und unsere AKZEPTANZ, dass manches nicht gelingt und vieles ausreichend gut gelungen ist. Kinder sind der größte Schatz, den wir begleiten dürfen. Ein Geschenk. Liebe besitzt nicht. Sie gibt Halt und gibt frei. Sie trägt. Liebe verzeiht. Liebe nimmt an und gibt.
Ich bin so dankbar auf diesen Artikel gestoßen zu sein, bin frisch gebackene Mutter. Ein wirklich super Beitrag.
Lg Tilda