Diese Bücher habe ich in den letzten Monaten gelesen und möcht sie als feministische Leseempfehlungen hier für alle Interessierten besprechen.
Ich habe mich auf die Suche gemacht und nicht nur unter den Neuerscheinungen, in denen viele Verlage feministische Romane und Sachbücher zu drängenden feministischen Themen wie Femiziden, Mißbrauch, Gewalt an Frauen, Frauenrechte, Mutterschaft, Female Empowerment und zu einer weiblichen Perspektive auf die Geschichtsschreibung oder zu Themen wie Liebe, Lust und Sex publizieren.
Meine Feststellung: Feministische Romane sind nicht neu und es gibt jede Menge von ihnen seit der Jahrtausendwende. Davor vielleicht auch schon, aber das kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Meine Recherche zu feministischer Literatur konzentrierte sich auf das vergangene Vierteljahrhundert.
Ich habe folgende Autorinnen kennengelernt und ihre Romane mit viel Vergnügen, mal froh und voller LAchen, mal traurig und tränentropfend, gelesen:
Mithu Sanyal: Identitti (Hanser Verlag, 2021)
Gertraud Klemm: Herzmilch (Literaturverlag Droschl, Graz – Wien, 2014)
Gertraud Klemm: Aberland (Literaturverlag Droschl, Graz – Wien, 2015)
Sharon Dodua Otoo: Dodua (2013) die dinge, die ich denke während ich höflich lächle. und 2014: Synchronicity. (Novellen)
Sharon Dodua Otoo: Adas Raum (Fischer Verlag, 2021)
Gioconda Belli: Die Republik der Frauen (Droemer Verlag, 2012)
Marianne Jungmaier: Das Tortenprotokoll (Kremayr Scheriau, Wien 2015)
Mieze Medusa: Du bist dran (Residenz Verlag, Wien, 2021)
Inaquiawa: Die Rückkehr des weiblichen Prinzips (LebensGut Verlag 2020, 1. Auflage 2010)
Rokudenashiko: Was ist obszön? Ein Manga über Vulvakunst
Das ist ein Manga über Vulvakunst. Der Magas Verlag hat ihn auf deutsch herausgebracht. Wie Mangas das so an sich haben, liest du das Buch von hinten nach vorne, oder von rechts nach links. Der Manga von Rokudenashiko ist an sich schon mega ulkig gezeichnet und macht Vulvinas einfach sympathisch.
Die Geschichte, um die es in dem Buch geht, ist aber überhaupt nicht lustig, eher unglaublich und schockierend! Die japanische Aktionskünstlerin und Aktivistin ist wegen ihrer genialen 3-D-Vulvakunst jedoch ins Gefängnis gewandert. Das prüde Japan, also der Polizeistaat, wenn ich das so schreiben darf, war entsetzt, dass Rokudenashiko die Daten ihrer Vulva für den 3-D-Drucker im Rahmen einer Crowdfunding-Kampagne frei zur Verfügung stellte.
Sie beschreibt im Comic, wie die Polizei ihre Kunstwerke konfiszierte und sie verhaftete, was sie in Haft erlebte und wie sie wieder frei kam und die Folgen des im Buch zusammengefassten Mangas in Japan veröffentlichen konnte.
Die Handlung des Fortsetzungs-Mangas ist unterbrochen von Info-Seiten zu weiteren Vulva-Projekten auf der ganzen Welt. Auch Grit Scholz mit ihrem Vulvabuch “Tor ins Leben” hat eine Widmung bekommen.
Außerdem möchte ich euch die Zeitschrift Virginia – Frauenbuchkritik ans Herz legen. Sie erscheint zweimal im Jahr mit ganzseitigen Rezensionen, unter anderem zu ausgewählten regionalen Schwerpunkten und gibt einen fundierten Überblick über spannende Neuerscheinung aus dem In- und Ausland. Redakteurinnen sind Doris Hermanns, Britta Jürgs und Susanne Webel.
Wie komm ich da bloß wieder raus? Toxische Beziehungen und Missbrauch
Die nächsten beiden Romane, beide Kremayr Scheriau, thematisieren beide auf ganz verschiedene Art und Weise Gewaltbeziehungen und Miisbrauch, getarnt als Liebe. Bei “Die Stärkste unter ihnen” von Selina Seemann geht es um ein junges Mädchen, das fast noch ein Kind ist als sie in eine toxische Liebesbeziehung schlittert. Mehr dazu gleich unten.
Sehr beeindruckt hat mich der Roman “Malus” von Simone Hirth (2023)
Simone Hirth nimmt das biblische erste Menschenpaar als Ausgangspunkt für eine Parabel, die unversehens in der Gegenwart landet – toxische Männlichkeit, Arbeitslosigkeit und Scheidungsprozess inklusive. Sie rechnet gnadenlos ab mit dem patriarchalen Erbe unserer Gesellschaft und öffnet die Tür zu einem anderen Lebensentwurf.
So kündigt Kremayr Scheriau den Roman “Malus” von Simone Hirth an.
Der Romanbeginn ist gelungen irritierend, da nicht sofort klar ist, wie sich die Geschichte entwickelt. Doch schnell werden die gewählten Bilder der Vertreibung aus dem Paradies der Paarbeziehung und die Schuld der bösen Eva am Ende dieser vermeintlichen Liebe klar.
Spätestens als Eva bei der selbständigen und auf eigenen Beinen stehenden Maria Magdalena in Wien ankommt, ist klar: Hier handelt es sich um eine moderne Frau, die – bald hochschwanger – verzweifelt versucht sich aus den Fängen einer toxischen Missbrauchsbeziehung zu befreien, die ihr ganz offensichtlich nicht gut tut.
Wer ihr gut tut ist Magdalena, die sie bei sich aufnimmt und liebevoll unterstützt. Mit ihrer Hilfe nimmt sie den Kampf an, um die Ehe mit Adam zu beenden. Der fährt alle Register auf, um die Scheidung zu verhindern und hat Gott vermeintlich auf seiner Seite.
Während Eva versucht, ihr Leben selbstbestimmt neu aufzubauen, erfahren wir die ganze traurige Wahrheit über Scheidungskriege und die Ohnmacht, die Frauen vor Gericht mitunter erleben.
Der Preis, den Eva für ein selbstbestimmtes Leben in der Geschichte zahlen muss, ist hoch. Der Roman ist sehr traurig, zum Heulen, zeigt er doch auf, wie skrupellos unsere Gesellschaft in Sachen Kindeswohl und Frauenrechte noch immer ist, wie mächtig patriarchale Herrschaftsstrukturen nach wie vor wirken. Und wieviel Arbeit noch vor uns liegt.
Die Stärkste unter ihnen: Grooming – Pädokriminalität – Pädophilie
Selina Seemanns radikales Romandebüt kreist um das schmerzhafte Thema Grooming – mit einer denkwürdigen Protagonistin, die sich die Deutungshoheit nicht nehmen lässt.
Kremayr Scheriau über “Die Stärkste unter ihnen” von Selina Seemann
Milena, Anfang 20, ist trotz ihrer traumatischen Erlebnisse als Jugendliche eine resiliente, selbstbewusste junge Frau, die sich nie als Opfer versteht. In Rückblenden erzählt Seemann nach und nach und sehr behutsam, das entsetzlich Schreckliche, das ihrer Protagonistin der um mindestens 20 Jahre ältere Nick angetan hat.
Die Hauptfigur hat sich aus eigener Kraft aus der Missbrauchsbeziehung, befreit. Was für eine mutmachende und riesige Leistung angesichts der Tatsache, dass Milena fast noch ein Kind war, als sich der verheiratete Kirchenmann und Jugendgruppenleiter an sie herangemacht hat. Grooming bezeichnet eine Art der Pädophilie, auch Pädokriminalität genannt, bei der Erwachsene sich mit Geschenken und Komplimenten bei Kindern und Jugendlichen beliebt machen, zu denen sie eine manipulative Beziehung aufbauen. Oft beginnen erste Annäherungsversuche zu Missbruach und sexuelle Ausbeutung über das Internet. Das Buch zeigt auf, das dies aber auch im Real Life, im vermeintlich vertrauten Umfeld geschehen kann.
Besonders gefallen hat mir der Schreibstil der Autorin und der Aufbau des Romans. Die Kapitel sind den Männern zugeordnet, die in Milenas Leben eine Rolle gespielt haben: Nick, Josh und ihrem besten Freund. Auch Frauenfreundschaften spielen eine wichtige Rolle, die Milena schlussendlich empowern und den benötigten Halt geben, um nach Jahren der Manipulation und des Missbrauchs endlich von ihrem Peiniger loszukommen.
Eine klare Kampfansage an die Opferrolle ist auch die gewählte Perspektive aus der Sicht einer jungen Frau, die sich aus eigener Kraft befreit hat. Auch wenn ihr Bedauern deutlich spürbar ist, über das, was hätte sein können – ohne den Täter in ihrem Umfeld. Anders als andere missbrauchte Frauen in Nebenrollen der Geschichte, hat sie es geschafft. Das macht Mut!
Feministische Gräbenkämpfe im Konzentrat einer WG
Wem gehört der Feminismus? Auf der Suche nach Frauensolidarität seziert Gertraud Klemm in ihrem neuen Roman das, was vom Feminismus übriggeblieben ist. Solange wir uns wie Einzeller gebärden, wird das nie etwas mit der Geschlechtergerechtigkeit.
Gertraud Klemm: Einzeller
Altfeministin Simone Hebenstreit und ihre Getreuen suchen Mitbewohnerinnnen für ihre WG, den Bienenstock. So kommt es zum Aufeinandertreffen von fünf Frauen aus verschiedenen Generationen, mit verschiedenen Ansichten. Duch die wechselnde Erzählperspektive bekommt der Lesende einen lebendigen Einblick in die unterschiedlichen Herangehensweisen und vorherrschenden Meinungen eines heute leider in (scheinbar?) gegensätzliche Lager gespaltenen Feminismus.
Zugespitzt wird die aktuelle Spaltung innerhalb des Feminismus durch die Teilnahme an einem Reality-TV-Format, das die Hebenstreit als große Chance sieht, ihre feministische Agenda von Mütterrechten bis hin zum drohenden Abtreibungsverbot nach Jahrzehnten des feministischen Kampfes einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Der Roman zeigt unterhaltsam, wie dieser Plan ziemlich nach hinten losgeht, als die Frauenin den Talkshows öffentlich ihre Positionen diskutieren. Bald zeigen sich die Bruchlinien zwischen den jungen, mittelalten und älteren WG-Bewohnerinnen und ihren feministischen Vorstellungen von Religion, Gender-Identität und Sexarbeit: Während sie einander vor laufender Kamera zerfleischen, nimmt die politische Wende ihren Lauf.
War alles umsonst, wofür Feministinnen wie Simone Hebenstreit seit den 1970er Jahren kämpfen und einstehen?
Die Grabenkämpfe zwischen Altfeministinnen und intersektionalem Queerfeminismus zerstören jedenfalls mehr als dies der im Grunde gemeinsamen Sache dienen würde. Wer hat vor allem ein Interesse daran, dass feministische Bewegungen niemals die Kraft und Wucht erreichen, die ihnen zustünde, endlich zustehen muss? Die unsere Gesellschaft, wir Frauen, so bitterlich benötigen würden.
Der Roman regt zum Nachdenken an über Solidarität zwischen Frauen und die WIchtigkeit eines Konsens. Heute mehr denn je! Denn bei der Lektüre fällt es auch denen wie Schuppen von den Augen, die das evtl. übersehen haben: Auf den feministischen Errungenschaften früherer Generationen haben wir uns lange genug ausgeruht! Alles, was bereits erkämpft wurde, ist in Gefahr! Frau denke nur an das Recht auf Abtreibung oder an die steigende Gewalt gegenüber Frauen! Das knüppeldicke Romanende zeigt, wie ernst die Lage gerade wieder ist. Darum sollte keine Aktivistin aufhören für die gemeinsame Sache zu kämpfen – auch wenn es gerade wieder mal echt mühsam ist.
Gertraud Klemm hat schon mehrere Bücher geschrieben und Preise gewonnen. Ich habe außerdem das Buch Aberland von ihr gelesen, das mich ziemlich traurig gemacht hat. Es geht um Frauen aus dem Mittelstand und ihr aufopferndes, aufreibendes, bisweilen nichtssagendes Leben zwischen Herd, Kindern, Selbstverwirklichung, gesellschaftlichen Normen und patriarchalen Ansprüchen bzw. ihren manchmal fast schon verzweifelt anmutenden Versuchen daraus auszubrechen.
Männer töten Frauen – Femizide in Österreich halten weiter an
Der Roman “Männer töten” von Eva Reisinger hat einen doppeldeutigen Titel. Männer töten ihre Frauen oder ? Schon der Titel hat mich zur Lektüre animiert – eingedenk von Femiziden und Gewalt an Frauen. Reisingers skandalöse Geschichte über Macht, Freundinnenschaft und weiblichen Zusammenhalt in einem durch und durch österreichischen Setting ist brilliant geschrieben. Und liest sich in einem Rutsch. Der im Leykam Verlag 2023 erschienene Roman ist vor allem eins: echt spannend. Die unmittelbare und schnörkellose Sprache der Autorin trägt ebenso dazu bei wie die rasant Fahrt aufnehmende und mitunter schockierende Handlung.
Schwarzer Humor und den Umkehrschluss aus der traurigen Entwicklung an nicht enden wollenden Frauenmorden in Österreich tragen zu einem frappierenden Gedankenspiel bei, das die Protagonistinnen in der Trachtenidylle des österreichischen Landlebens in die Realität umsetzen.
Mehr wird nicht verraten – absolute Leseempfehlung.
Feministischer lieben – geht das?
Modern Heartbreak – Feministischer lieben von Laura Melina Berling ist ein Sachbuch über die romantische Liebe. Die steht im Spannungsfeld von Sehnsucht, Geschlechterklischees und Online Dating. Die Sozial- und Theaterpädagogin bloggt auf Little feministblog und verarbeitet in “Modern Heartbreak” ihr persönliches Liebesleben. Sehr greifbar wird hier der Zusammenhang von patriarchalen Normvorstellungen und dem wiederholten Scheitern in Liebesdingen. Im persönlichen Erzählen, das die Verletzlichkeit einer Liebenden unmittelbar erfahrbar macht, liegt die große Stärke der Autorin. Stellenweise wirkt das Buch dann wieder wie ein wissenschaftlicher Essay. Das hat mich sehr an meine Lektüren in Unizeiten in den Proseminaren der Genderstudies erinnert. Das Buch bietet einen guten Einstieg für alle, die sich auch außerhalb der Geisteswissenschaften mit Gender und Queer Studies beschäftigen wollen.
Liebe in Zeiten von Tinder
Da ich selbst noch nie Online Dating ausprobiert habe, fand ich die Erfahrungen der Autorin damit persönlich sehr spannend. Ich habe, trotz kurzer anfänglicher Irritation – oh Gott bin ich zu alt für dieses Buch? Scheiße, ich bin nicht die Zielgruppe – gerade die persönlichen Erfahrungen von Berling mit Interesse gelesen.
Ja, es braucht ein Buch für eine feministische Liebe, die für Frauen* selbstbestimmt und achtsam funktioniert. Über den krassen Wettbewerb, dem Individuen sich mit Online-Dating gezwungenermaßen aussetzen, war ich mir nicht im Klaren. Das hätte mich als junge Frau extrem unter Druck gesetzt und als mittelalte Frau hab ich auch keinen Bock drauf.
Auch ohne Tinder & Co. habe ich als Teenager der 1990er Jahre genug gelitten unter den Disney-Vorstellungen vom Traumprinzen und der romantischen Liebe, wie es Berling treffend und jenseits aller Altersgrenzen formuliert. Damit sich hier was ändert für zukünftige Generationen, deswegen braucht es solche Bücher und die Bewusstseinarbeit, die sie leisten.
Was die Autorin über offene und polyamore Beziehungen schreibt, fand ich auch nicht ermutigend für eine Liebe auf Augenhöhe, eine romantische Liebe, bei der sich zwei Menschen auf ehrliche Weise in ihrem innersten Ausdruck begegnen. Wie schrecklich, wenn poly und freie Beziehungen als fadenscheinige Ausrede für Unverbindlichkeit benutzt wird. Poly als Fluchtmöglichkeit vor einer ernsthaften Auseinandersetzung auf Beziehungsebene? Ohne die kann eine Paarbeziehung weder wachsen noch sich gar nicht erst entwickeln.! Wie schade! Dazu, und auch über toxische Beziehungen und was sie mit uns machen, hat mir die Lektüre wertvolle Impulse geliefert.
Wie Frauen Geschichte schrieben – und Männer dafür den Ruhm bekamen
Ein ganz wichtiges Buch ist gerade im Penguin Verlag auf Deutsch erschienen. Die Historikerin Leonie Schöler zeigt in “Beklaute Frauen” einige der unzähligen Frauen weltweit, deren Einfluss aus der Geschichte radiert wurde.
Denn es gibt sie in allen Epochen, die weiblichen Heldinnen unserer Menschheitsgeschichte. Abgetan als Muse, Sekretärin oder Ehefrau – es gibt viele mächtige Frauen, für deren Leistungen Männer die Lorbeeren einheimsten. Denkerinnen, Forscherinnen, Pionierinnen, Wissenschaftlerinnen, Autorinnen, Künstlerinnen. Dieses Buch macht weibliche Errungenschaften, Erfindungen und Heldentaten einzelner Frauen sichtbar und erkennt sie zum Teil erstmals an.
Literatinnen hatten keine andere Wahl: Um Bücher zu veröffentlichen mussten sie sich hinter männlichen Pseudonymen verstecken. Künstlerinnen fanden im Schatten ihrer berühmten Ehemänner weder Erfolg noch Beachtung. Die Geschichte hat so viele von ihnen vergessen! Nein, das ist falsch ausgedrückt, denn wer schrieb sie denn die Geschichte der letzten Jahrhunderte? Wer hat bewusst ausgelassen und weggestrichen? Wer hat Preise verliehen und Forschungen finanziert?
Das Verdienst dieses Buches ist es, die Geschichten vieler starker Frauen sichtbar zu machen. Ihnen späte Anerkennung zu verleihen für Leistungen, die unsere Gesellschaft bis heute wirklich vorangebracht haben. Dabei wird klar: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein System, das ihn bestärkt. Viele Frauen dagegen aber blockiert bis heute ein patriarchales System, das für weiblich gelesene Menschen keine kreative Entfaltungsmöglichkeiten zuläss. Kaum Raum für Selbstbestimmung.