Mit Kind und Vollzeitjob in Shanghai ist die Bloggerin Fledermama, die ich auf Twitter kennengelernt habe. Was sie zu erzählen hat, ist mal richtig spannend. Wer liest, wie Kinder in Shanghai im Speziellen und China im Allgemeinen aufwachsen, kriegt echt das Gruseln. Kein Wunder, dass die Fledermama und der Flederpapa – wenn ich das mal so salopp formulieren darf – keine Lust haben ihr Kind dort in Fremdbetreuung zu geben. Aber lest selbst, was eine berufstätige Mutter mit Kind und Vollzeitjob in der chinesischen Metropole so zu erzählen hat.
Wer bist du?
Ich bin die Fledermama. Fast mein halbes Leben lang Gruftie und Romantikerin ohne jede Hoffnung. Tätowiert, mit bunten Haaren und Sidecut weigere ich mich, erwachsen zu werden. Manchmal möchte ich an unserer Gesellschaft verzweifeln. Meist aber eher im Stillen. Dazu bin ich seit Juli 2015 Mama. Und ich gehöre tatsächlich zu den Frauen, für die die Mutterrolle voll erfüllend ist. Auch, wenn ich weiß, dass das nicht so sein muss. Aber für mich ist mein Kind das größte Glück überhaupt.
Woher kommst du und wohin gehst du?
Ich komme aus der Nähe von Darmstadt, bin über Oberfranken, Madrid und Bali nach Shanghai gegangen und gehe jetzt bald nach Leipzig.
Was willst du über deine Familie sagen?
Unser kleiner Rabe bekommt demnächst ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Russian Design, German engineering, made in China“. Denn wir sind ziemlich international: Mein Haselchen ist Russe, aufgewachsen in Kazakhstan, als Jugendlicher nach Madrid gezogen und die spanische Staatsangehörigkeit bekommen. Ich bin dagegen ganz langweilig deutsch. Gemeinsam sind wir dann mit Anfang/Mitte 20 ursprünglich mal für 1-2 Jahre nach Shanghai gezogen. Und jetzt bereits seit 5 ½ bzw. 6 Jahren geblieben. Das soll sich aber nun in absehbarer Zeit ändern, denn seit der Geburt unseres Sohns wurde uns mehr und mehr bewusst, dass China nicht der Ort ist, an dem unser Kind dauerhaft aufwachsen soll.
Warum arbeitest du?
Weil ich muss.
Mein Mann hatte eine Weile hier ein eigenes Business aufgebaut. Aber da so eine Selbstständigkeit nicht jeden Monat ein sicheres Gehalt abwirft, aber der Vermieter ja doch jeden Monat sein Geld haben will, habe ich mich nicht drauf verlassen und mir einen festen Job gesucht. Das stellte sich dann auch als ganz gut heraus, denn mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Russland musste der Hauptkunde bzw. Partner meines Mannes plötzlich massiv sparen, überging ihn einfach und schwups – weg war das Einkommen. Also der Großteil davon. Glücklicherweise wurde ich seitdem befördert und habe zwei Gehaltserhöhungen bekommen, sodass es uns finanziell nicht viel ausmacht. Aber wir sind halt auf mein Einkommen angewiesen. Nach der Geburt des kleinen Raben war ich 6 Monate zu Hause. 4 waren voll bezahlter “maternity leave”, 2 habe ich mir als unbezahlten Urlaub gegönnt. Danach ging ich es richtig los mit Kind und Vollzeitjob. Mein Mann kümmert sich um alles zu Hause.
Wir leben sozusagen die Rollenklischees der 50er Jahre mit vertauschten Positionen nach.
Stecken damit aber auch insofern fest, als dass wir hier eh bald wegziehen. Damit würde es kaum Sinn machen, jetzt noch eine Kinderbetreuung und einen Job für ihn zu suchen. Aber selbst wenn, würden wir unseren kleinen Raben hier nicht fremd betreuen lassen. Sowas wie liebevolle Kitas gibt es hier nämlich nicht in bezahlbar. Also wir reden da dann echt von mindestens 2000-2500 Euro pro Monat.
Sonst gibt man sein Kind in eine staatliche Preschool, wo nur Chinesisch gesprochen und Kinder mit strengem Unterricht zu Gehorsam und Disziplin erzogen werden. Wo Lehrerinnen 2-Jährige schwer verletzen, weil sie sie zur Bestrafung dafür, im Unterricht nicht still zu sitzen, an den Füßen hochheben und auf den Kopf fallen lassen, zum Beispiel. Und nein, Menschen, die mit solchen Erziehungsmethoden sozialisiert wurden, werden wir unser Kind nicht anvertrauen. Auch nicht für eine Übergangszeit oder was auch immer. Aber der Vermieter will ja weiter jeden Monat sein Geld sehen und der Kühlschrank füllt sich auch nicht von alleine. Also gehe ich arbeiten.
Erzähle uns etwas über deinen beruflichen Werdegang!
Studiert habe ich eigentliche Internationales Management mit Schwerpunkt Finance and Controlling. Damit war es hier nicht möglich, einen Einstiegsjob zu finden. So habe ich erstmal mit einem Praktikum im SEO/Online Marketing bei einem deutschen Startup angefangen. Wie es bei Startups manchmal so ist, wurde dann dringend jemand im Kundenservice gebraucht. Und ich hab’s übernommen. Die Firma war aber ziemlich kacke, gelinde gesagt. Also bin ich dann zu einer großen OTA gewechselt. Auch Kundenservice. Dann Kunden- und Partnerservice. Jetzt “Senior”, das heißt Supervisor. Also wenn die Agents nicht weiter wissen, fragen sie uns: Wir kümmern uns um die komplexen, großen Fälle und Beschwerden.
3 Dinge, die Dir am schwersten fallen beim Wechseln zwischen den Welten!
Das einzige, was mir wirklich schwer fällt, ist, morgens das Haus zu verlassen. Wenn mein kleine Sohn auf Papas Arm winkt und “Mama” sagt und ich weiß, dass ich erst abends wieder
da bin. Je nach Schicht können wir noch ein bisschen spielen oder spazieren gehen. Oder nur zu Abend essen und dann ins Bett bringen. Oder er schläft dann bereits, bis ich zurück bin.
Und ich verpasse alles, was über den Tag so passiert. Manchmal komme ich abends nach Hause und es fühlt sich an, als sei er an nur einem einzigen Tag richtig groß geworden. Und ich ha
be es verpasst. Das zu wissen und mit diesen Gedanken im Kopf morgens die Tür zu schließen, das tut weh. Und dass er jetzt seit neuestem offenbar immer weint, sobald die Tür hinter mit geschlossen ist, macht es auch nicht wirklich einfacher. Aber was muss, das muss…
3 Dingen, warum Du nicht tauschen wollen würdest!
Hier kann ich nichts sagen. Denn ich würde gerne tauschen. Jederzeit. Rentenpunkte oder Ähnliches bekomme ich in China wohl eh keine. Und selbst wenn – daran, dass ich jemals von der staatlichen Rente leben könnte, glaube ich schon lange nicht mehr. Wenn ich also stattdessen die kurze Zeit, die wir gemeinsam haben, mit meinem Kind verbringen könnte und dabei trotzdem finanziell für unsere Familie gesorgt wäre, würde ich jederzeit sofort tauschen. Ich arbeite, um zu leben. Sonst für nichts.
Was liegt dir besonders am Herzen?
Wirklich am Herzen? Bis auf meine kleine Familie eigentlich nichts. Mein Haselchen, mein kleiner Rabe, unsere Katzen.
Hier die Weltschmerz-Variante: Der Rest der Welt ist so kaputt. Missgunst, Hass, Verachtung, Krieg. Der Mensch zerstört den Planeten, auf dem er lebt und sich selbst. Und wir machen alle mit, rennen freudig in den Abgrund. Ich lasse mich manchmal hilflos mittreiben. Ändern kann ich diese Welt ohnehin nicht. Also habe ich es aufgegeben. Wir machen unser Ding und arrangieren uns mit den Gegebenheiten, die wir finden. Dabei versuchen wir, die besten Menschen zu sein, die wir sein können und ein bisschen Gutes in die Welt zu bringen.
Und hier die hoffnungsvollere Antwort: Wir wollen noch mehr Kinder und ich will mehr Zeit mit ihnen verbringen. Ich versuche, nachhaltig zu leben, um zumindest die negativen Auswirkungen meines Konsums etwas geringer zu halten. Leider schaffe ich das noch nicht in dem Rahmen, der mir lieb wäre, aber ich arbeite daran. Und ich will meinem Kind (bzw. für die Zukunft meinen Kindern) Respekt und Achtung beibringen. Für sich selbst genauso wie für ihre Mitmenschen und unseren Planeten und alle seine Lebewesen.
Was versteht man in Shanghai unter Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Hier denkt niemand wirklich über Vereinbarkeit nach. Also niemand, den ich kenne. (Und ich kenne nun dann doch ein paar hundert Chinesische Kolleginnen und Kollegen). Diskussionen wie bei uns werden hier über dieses Thema nicht geführt. Es ist einfach so, wie es ist.
Dass es auch anders sein könnte, kommt den meisten gar nicht in den Sinn. Jede Frau bekommt ein Kind und wer es sich nicht leisten kann, zu Hause zu bleiben, geht wieder arbeiten und findet dann halt eine Lösung.
Elternsein in Shanghai
Und nun möchte ich ein wenig ausholen, wie normal es hier ist mit Kind und Vollzeitjob zu leben. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sehen so aus: Mit Schwangerschaft wird Frau unkündbar. Bis 1 Jahr nach der Geburt. Mutterschutz sind 98 Tage, die man ab 14 Tage vor dem Entbindungstermin beginnen kann. Ab der 28. SSW bis 1 Jahr nach der Entbindung bekommt man täglich zusätzliche, bezahlte Pausen. Meist 60 Minuten, die man sich so legen kann, wie man will. Während des Mutterschutzes wird das volle Gehalt weitergezahlt. That’s it.
Elterngeld, Elternzeit für Väter, Kinderkrankentage,… All sowas gibt es nicht. Ganz besonders die Vorstellung von Elternzeit für Väter löst hier immer wieder, wenn ich davon erzähle, baffes Erstaunen aus. Kein Wunder, wenn man die Rolle von Vätern hier bedenkt. Beispielsweise sind die nur in absoluten Ausnahmen überhaupt bei der Geburt dabei, geschweige denn bei den Vorsorgeuntersuchungen. Kinderkriegen und Kinder haben ist schließlich Frauensache… Und sich um Kinder kümmern sowieso. Ein Vater, der weiß, wie eine Windel gewechselt wird, ist hier schon eine enorme Kuriosität.
All solche Punkte, wie sie bei uns besprochen werden, wie Gleitzeit, Homeoffice, Kinderkrankentage, Fremdbetreuung, Elternzeit, Teilzeitarbeit, etc. pp. kann man zwar vielleicht mit seinem jeweiligen Arbeitgeber aushandeln. Die Erfolgschancen gehen aber deutlich gegen Null. Aber da eh keiner darüber nachdenkt und jeder mit Kind und Vollzeitjob irgendwie versucht klarzukommen, fordert auch kaum jemand sowas.
Die Lösung ist hier mit Kind und Vollzeitjob in der Regel eindeutig: Oma.
Spätestens mit der Geburt, normalerweise schon vorher, zieht die Mutter oder Schwiegermutter bei den jungen Eltern mit ein und kümmert sich ums Kind. Das ist so selbstverständlich, dass viele Kollegen mich gefragt haben, ob meine Mutter aus Deutschland jetzt auch zu uns gezogen ist. Oder doch meine Schwiegermutter aus Kasachstan? Wie, keine von beiden? Wie macht ihr das denn dann mit Kind und Vollzeitjob?!
Manchmal sogar wird das Kind ganz bei den Eltern oder Schwiegereltern gelassen. Das ist allerdings auf dem Land weiter verbreitet, wenn die Mutter nach dem Mutterschutz wieder in die Stadt zum Arbeiten (oft dann illegal, weil das Hukou es eigentlich nicht erlauben würde) zieht und ihr Baby bleibt bei den Eltern oder Schwiegereltern. Da kann sie es dann an Feiertagen besuchen.
Selbst arbeiten ist da kein Hindernis, da die Oma dann einfach aufhört zu arbeiten. Bei wem das so nicht möglich ist, z. B. weil die Eltern krank sind, nicht mehr leben etc., der stellt eine Ayi (man könnte sagen Haushaltshilfe/Nanny) ein. Die kümmert sich dann einfach immer ums Kind. Also IMMER. Als ich mir neulich einen Tag als „urgent leave“ freigenommen habe, weil der kleine Rabe Magen-Darm hatte und außer der Brust jegliche form von Flüssigkeits- oder Nahrungsaufnahme verweigerte, war das eine größere Sache.
Fremde Kindheit?
So ab 2 Jahren geht das Kind dann auch in die Preschool. Nicht zu verwechseln mit einem deutschen Kindergarten, wie erwähnt. Und wird da dann von der Oma oder der Ayi hingebracht und abgeholt. Und spätestens mit Schuleintritt ist es dann eh geklärt, weil die Schule ganztags geht. Wenn das Kind mal krank ist, kann es einfach alleine zu Hause bleiben. Oder, im ganz krassen Fall, die Mutter nimmt sich einen Tag Urlaub (hat ja gesetzlich vorgeschrieben mindestens 5 davon pro Jahr, die sogar bezahlt werden…).
Dass dabei keine besondere Bindung zwischen Kindern und Eltern aufkommt, ist eigentlich verständlich. Eine Kollegin saß mal heulend vor mir, nachdem sie ihren 2-jähriger Sohn ausnahmsweise hatte ins Bett bringen wollen. Er hat sie weggeschubst und verzweifelt nach seiner Oma geweint. Für ihn war die Oma die Vertrauensperson. Nicht die Mutter. Und vom Vater sowieso kein Wort… Einen Monat später hat sie gekündigt, weil sie ein zweites Kind bekommen und von diesem dann auch wirklich geliebt werden wollte – ihre eigenen Worte.
Jede Frauen bekommt ein Kind
Was in gewisser Weise gut an all dem ist, ist die fehlende Diskriminierung von Müttern oder allgemein Eltern. Denn: Jede Frau kommt klar mit Kind und Vollzeitjob. Das ist einfach eine absolute Selbstverständlichkeit. Klar, das hat auch seine Schattenseiten. Wie beispielsweise der enorme gesellschaftliche Druck. Denn dass eine Frau kein Kind haben wollen könnte, das gibt es einfach nicht und wird nicht akzeptiert.
Aber gut ist eben, dass es einfach ganz selbstverständlich ist. Und für den Arbeitgeber ist es auch sehr berechenbar. 98 Tage Ausfall, rund 14 Monate lang längere Pausen und damit ist das Thema durch. Kein Arbeitgeber kommt so auf die Idee, junge Frauen nicht einzustellen, weil sie ja mit Kind und Vollzeitjob ein Problem haben könnten. Sie werden mit Sicherheit eines bekommen und wie es dann läuft mit Kind und Vollzeitjob ist von vornherein klar. Das gilt auch für junge Eltern allgemein, weil sie ja öfter mal kinderkrank nehmen müssten. Niemand käme auf die Idee, eine Frau in einem Bewerbungsgespräch nach ihrer Familienplanung zu fragen. Denn das ist alles einfach ganz klar. Was jedoch die anderen Nachteile nicht aufwiegt…
Mit Kindern irgendwo hinzugehen ist eben gleich noch mal was ganz anderes als allein! LG zurück!
Sehr interessant, über diese andersartigen Lebensumstände in China zu lesen, aber auch irgendwie bedrückend. Ich möchte nicht tauschen wollen und kann nachvollziehen, dass die Drei nicht ewig in Shanghai bleiben wollen. Danke für das Interview! Viele Grüße! Claudia
Oh mann, auch ich schwebe gerade zwischen Schock und Bewunderung… Schock über die “Kälte” und Bewunderung für alle chinesischen Frauen!
Liebe Larissa! Das habe ich mir beim Lesen auch gedacht! Bei uns sind es so oft nur Befindlichkeiten! Wenn kein Drama da ist, finden wir eins! Ich bin so froh, dass unsere Kindergärten und jetzt die Schule so nette und kompetente Betreuerinnen hat.
Wow! Spannendes Interview und krasse Geschichte! Da wird mir mal wieder klar, wie gut wir es hier doch haben, auch wenn es immer was zu meckern gibt.