Sichtbarkeit für Autorinnen – Interview mit Verlegerin Anne Friebel

Sichtbarkeit für Autorinnen
Fotocredit Christiane Gundlach

Im folgenden findet ihr das Interview mit Verlegerin Anne Friebel über mehr Sichtbarkeit für Autorinnen. Wieso sind weibliche Schreibende weniger sichtbar als männliche Autoren? Es klingt unglaublich, aber Anne, die Gründerin von Palomaa Publishing, einem jungen Indie Verlag von und für Frauen, erzählt uns mehr darüber. Mit ihrem Verlagsprogramm hilft sie mit, das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern endlich gerade zu rücken.

Liebe Anne, wie und wann bist Du auf die Idee gekommen, Deinen eigenen Verlag Palomaa Publishing zu gründen?

Mir war es schon immer wichtig, sinnstiftend zu arbeiten und meinem Herzensthema Gleichberechtigung nachzugehen. Im Herbst 2019 war ich dann beruflich an einem Scheideweg und überlegte, mit welchem Business ich mich selbständig machen wollte. Zunächst wollte ich selbst ein Buch schreiben. Dann erkannte ich, dass ich mit einem eigenen Verlag mit jedem Buch eine neue wichtige Botschaft und eine neue inspirierende Person pushen und fördern könnte. Und mir war klar: Das ist mein Weg. Ich gründe jetzt einen Verlag – und zwar einen, der nur nicht-männliche Schreibende veröffentlicht. So schaffen wir wieder ein bisschen Balance zwischen den Geschlechtern und geben einer vielfältigeren Sicht auf die Dinge mehr Raum. Das war im März 2020.

Welchen Herausforderungen bist Du begegnet?

Als noch recht junger Verlag ist es für uns bei Palomaa Publishing eine ständige Herausforderung, Sichtbarkeit für Autorinnen und unsere Bücher zu schaffen. Wir freuen uns über jedes Teilen unserer Bücher, über Artikel zum Verlag, über Vorträge, die ich halten darf, um unsere Vision weiter nach draußen zu tragen. Außerdem gab es im vergangenen Jahr durch die Pandemie diverse Herausforderungen zu wuppen – hinsichtlich des Druckes der Bücher (hoher Krankheitsstand in den Druckereien), ausfallender Buchmessen (ohne Ersatz) und auch ganz persönlich durch die Arbeit von zuhause aus mit kleinen Kindern und Hund. Das war bisher ein wilder Ride und bleibt auch weiterhin spannend.

Wie hat Dich das Verlegerinnen-Dasein verändert?

Die Arbeit im Verlag ist zwar nicht meine erste Selbständigkeit. Ich habe vorher bereits einen Online-Shop für nachhaltige Frauenprodukte betrieben, war als Life Coach und später als Marketing-Beraterin unterwegs. Aber mein jetziger Alltag zwischen Menschen, die Bücher lieben und leben, ist schon sehr motivierend und gibt mir viele Freiheiten. Ich ziehe viel Kraft und Motivation aus dem Austausch mit Kolleg*innen und lasse mich inspirieren. Dadurch entstehen tolle neue Projekte wie zum Beispiel das Netzwerk The Female Publisher, das ich im Februar 2022 gegründet habe und das Frauen in der Verlags- und Programmleitung vernetzt. Oder unsere Aktionen #verlegerinnenmonat oder #buchhändlerinnenmonat auf Instagram. Kurz gesagt: Ich bin richtig aufgeladen durch meine Arbeit als Verlegerin.

Hast Du einen Bestseller? Erzähl uns davon!

Das beste Buch ist natürlich immer das aktuellste Buch bei uns. 🙂 Unsere beiden Herbsttitel “Ach du Scheiße, ich bin glücklich” von Jessica Goschala und “Blooming Mom” von Misava Macamo verkaufen sich schon sehr gut. Wir haben mit “Vertrauen nach Fehlgeburt” von Rosa Koppelmann aber auch einen Longseller, der schon seit 2020 vielen Familien nach Kindsverlust geholfen hat. 

Hast Du den Eindruck in der deutschen Verlagsbranche kommen Frauen zu wenig zu Wort? Warum mangelt es an Sichtbarkeit für Autorinnen?

Ich denke, wir müssen in der Verlagsbranche einmal zwischen den Frauen unterscheiden, die die Bücher von Verlagsseite her machen, und den Frauen, die die Bücher schreiben. Grundsätzlich arbeiten in der Buch- und Verlagsbranche ja sehr viele Frauen – so gesehen ist die Branche sehr weiblich. Allerdings stehen auf den vordersten Plätzen (dort, wo man gehört wird und eine Stimme hat) leider immer noch wenig Frauen. Die Gründe dafür sind wahrscheinlich die gleichen wie im Rest der Gesellschaft: Sexismus, die Thomas-Falle,  Gender Pay Gap, Teilzeit und wenig Familienfreundlichkeit bei den Arbeitgebern. Das muss sich ändern.

Nun zu den Schreibenden: In der Studie #frauenzählen wurde schon 2018 untersucht, wie sichtbar Frauen in den Medien und der Literatur sind und das Ergebnis war brutal deutlich: Schreibende Frauen werden seltener, kürzer und negativer besprochen als ihre männlichen Kollegen. Autorinnen werden zudem seltener verlegt, schlechter bezahlt und in den Vorschauen der Verlage auch weniger sichtbar gemacht als Autoren. Das entspricht der grundsätzlichen Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft – und muss dringend verändert werden, ganz klar.

Du hast mit The Female Publisher auch ein Verlegerinnen Netzwerk gegründet. Wer ist da willkommen und wie unterstützt ihr euch gegenseitig?

Wir haben The Female Publisher ins Leben gerufen, um ganz gezielt Frauen und nicht-männliche Entscheidungsträger*innen in der Verlags- und Programmleitung zu vernetzen und zu empowern. Ich wollte einen Raum schaffen, in dem wir uns ganz offen gegenseitig Fragen zum Beispiel zur Verlagsstrategie, zum Druck, zu Erfahrungen mit Dienstleistern stellen können. Einen Raum, in dem wir Wissen teilen und uns Empfehlungen geben können. Und einen Raum, in dem wir Synergien finden und gemeinsame Aktionen erschaffen.

The Female Publisher ist im Gegenzug zu anderen Netzwerken kostenlos für die Mitglieder. Wir treffen uns mindestens zweimal im Jahr zu den Buchmessen persönlich und alle ein bis zwei Monate digital zu kleinen Zoom-Events zu Schwerpunktthemen und mit inspirierenden Speaker*innen. Innerhalb weniger Wochen hatten wir über 100 Mitglieder, Tendenz weiter steigend.

Und Du bietest auch Unterstützung für Autorinnen im Buch-Marketing, oder? Wie genau?

Wir haben dieses Jahr die Verlags-Sprechstunde als Angebot auf unserer Website eingeführt. Dabei kann man einen Zeitslot mit mir als Verlegerin virtuell buchen und alle Fragen stellen, die in Bezug auf das eigene Buch auf dem Herzen brennen. Das können Marketing-Themen sein oder auch Feedback zum Manuskript oder berufliche Fragen. 

Schreibst Du auch selbst?

Die Idee steht zwar immer mal wieder im Raum, aber ich habe gerade einfach keine Zeit dafür. 😀

Worum geht es in Deinem neuesten Buchprodukt?

Unser nächster Titel im Frühjahr wird sich um das Thema toxische Narrative über Frauen drehen und wie wir ab 30 ein entspanntes und selbstbestimmtes Leben führen können – frei von den ganzen Erwartungen von außen. Dafür konnten wir die spannende Neu-Autorin Jennifer Klinge gewinnen.

Wie wählst Du Bücher und Artprints für Deinen Verlag aus bzw. worauf legst Du den Fokus für mehr Sichtbarkeit für Autorinnen?

Ich verfolge mit dem Verlag das Ziel, Frauen und nicht-männlichen Schreibenden eine Bühne zu geben. So entsteht ganz gezielt Sichtbarkeit für Autorinnen. Kriterium 1 ist also, dass ich keine alten weißen Männer verlege. Palomaa Publishing verlegt zudem nur Sachbücher, das wäre also Kriterium 2. Unsere Programmschwerpunkte sind Frauengesundheit, Gleichberechtigung, persönliche Weiterentwicklung und Gesellschaftspolitik. Kriterium 3 ist, dass ein Titel in diese Ausrichtung passen muss. Ab und zu mache ich auch etwas außerhalb dieser Felder, aber grundsätzlich orientiere ich mich natürlich an den Programmschwerpunkten. Dann schaue ich, ob ich mir das Buch gut vorstellen kann (Wie gefallen mir die Leseprobe und das Exposé? Wie ist der Wettbewerb? Welche Ausstattung könnte ich mir vorstellen? Finde ich die Autorin spannend?). Und wenn das alles passt, können wir mal sprechen. Ähnlich ist es mit den Art Prints – da muss einfach die Botschaft der Prints zu meiner Botschaft passen.

Gibt es etwas, worauf Du uns noch aufmerksam machen möchtest?

Zum einen möchte ich auf unseren Freundeskreis bei Steady aufmerksam machen für alle, die unsere Vision einer gleichberechtigten Welt teilen und unsere verlegerische Arbeit für mehr Sichtbarkeit für Autorinnen unterstützen möchten. Dort gibt es unterschiedliche Pakete für eine monatliche Unterstützung und das Highlight ist sicher unser Buch-Abo, mit dem man jede unserer Neuerscheinungen nach Hause geliefert bekommt. Mehr Infos gibt es hier: https://steadyhq.com/de/palomaa-publishing

Zum anderen würde ich gern im Sinne der Vernetzung und Sichtbarkeit für Autorinnen auf die vielen spannenden, jungen und frauengeführten Verlage aufmerksam machen, die ebenfalls tolle Programme haben: den Akono Verlag, der zeitgenössische afrikanische Literaturen veröffentlicht, den Second Chances Verlag, der vergriffene Bücher neu auflegt, den Magas Verlag, der Bücher rund um Weiblichkeit verlegt, oder FamiliarFaces, die vielfältige Bücher für gemeinsames Lernen und Puzzles auf den Markt bringen. Hier lohnt es sich, den Blick offen zu halten und Neues zu entdecken.

Was kommt als nächstes?

Im kommenden Jahr haben wir erstmals vier neue Bücher geplant, spannende Workshops und Vorträge, endlich wieder die Leipziger Buchmesse und das eine oder andere neue Produkt, zu dem ich hier noch nicht zu viel verraten werde. Ich freue mich auf jeden Fall, wenn wir 2023 in unser drittes Jahr gehen.

Die Verlegerinnen von Magas und Akono Verlag, erzählen im diesjährigen Karmakalender ebenfalls Spannendes über ihre Verlagsprogramm und was sie antreibt.

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